Den
Markt gibt es schon lange nicht mehr. Aber wenn mit
Ablauf der Karwoche die Statuen von Christus, Maria,
die schweren Pasos, Tragebühnen mit
Passionsszenen nach ihren nächtlichen Runden durch
die engen Gassen in die Kirchen zurückkehren, ihre Träger
ermattet entlassen werden, die nazarenos,
Mitglieder der religiösen Bruderschaften, ihre an Klu-Klux-Klan-Kluften
erinnernden Kapuzenmäntel bis zum nächsten Jahr
einmotten, laufen schon die Vorbereitungen für das größte
und schönste Fest Spaniens auf vollen Touren.
Eine
Woche nach Ostern beginnt dann die Feria de Avril.
Auf dem Festgelände von einem Quadratkilometer werden
über 1.400 "casetas", Zelte von 4 x 8
m oder mehr aufgebaut. Um Platz zu sparen, sind sie
heute nicht mehr rund, sondern viereckig. Aber sie
haben immer noch ein spitzes Dach mit einer Malerei,
einem Namen, einer Nummer. Innen sind sie liebevoll
als Sommerhaus dekoriert mit weißen Gardinen,
Spiegeln, schönen Bildern, Blumen, edlen Lampen,
kleinen Tischen und vor allem sehr vielen Stühlen.
Denn es wird hier voll während der Feria. Die Mieter,
große Firmen, Weingüter, oder Freundeskreise von
einem Dutzend Familien und mehr empfangen ihre
Bekannten und laden sie zum Trinken, Essen, Plaudern,
Singen und Tanzen ein. Besonders zum Tanzen - bis zu
18 Stunden am Tag.
Musikkapellen
spielen moderne Ohrwürmer, die viele mitsingen, aber
meist Rumbas, Bulerias, Pasodobles
und vor allem Sevillanas. Die Sevillana
ist ein bezaubernder, aber recht komplizierter Tanz in
vier Folgen, jeweils mit dem gleichen dramatischen
Finale: Fuß aufgestampft, Kopf theatralisch
zurückgeworfen,
ein Arm gen Himmel gereckt. Olé! Die Partner
strahlen sich an, tanzen aber getrennt in malerischen
Schwüngen, Pirouetten, Kreisen und Passagen, mit
ausladenden, graziösen Armbewegungen, im allgemeinen,
ohne sich dabei zu berühren. Der Tanz ist überaus
sensuell - die Frau lockt den Mann. "Ein
wunderbares, narzistisches Ballett", nannte es Ortega
y Gasset zutreffend. Manchmal ist die Tanzfläche
durch einen Vorhang abgeteilt, aber meist sind Bar und
Küche in einem abgetrennten hinteren Teil der caseta,
und im vorderen Teil wird zwischen den Tischen und Stühlen
getanzt. Das macht mehr Spaß - schließlich will man
ja sehen und gesehen werden!
Die
Heerscharen der Besucher kommen meist zu Fuß, per Zug,
Bus oder Auto, viele auch ein- bis sechsspännig in
Kutschen oder hoch zu Roß. Dabei sitzten die caballeros
im Alter von 6 bis 60 im Sattel, die Kinder davor,
Frau oder Brautgeliebte dahinter - der Rock ist
malerisch über die Kruppe des Pferdes drapiert. Unter
ihnen sind die schönsten Frauen von halb Spanien
und ganz Andalusien. Der Aufmarsch der bis zu
3.000 Pferde und 700 Kutschen täglich ist ein prächtiges
Bild. Die Herren tragen oft noch Torerohut, kurze
Jacke, rote Schärpe, lederne Gaucho-Hosen über den
Stiefeln, die Angehörigen des früher einmal schwach
genannten Geschlechts meist leuchtende Flamenco-Kleider
mit vielen Rüschen unterhalb der Hüften. Dazu gehört
der Mantón, ein großer bestickter Seidenschal,
dessen Fransen rätselhafterweise dazu neigen, sich in
Knöpfen von vorbeigehenden Herren zu verfangen. Man
braucht dann kein Taschentuch zu "verlieren".
Romantischerweise
wispern viele Herren auf der Straße vor ihnen
schreitenden hübschen Frauen immer noch piropos zu.
Das sind Flüsterkomplimente wie "Olé, guapa - Hübsche!",
"Du bewegst Dich gleitender als die Wellen!",
"Du trägst das Parfum Spaniens mit Dir!"
Die Damen tun so, als ob sie nichts hörten, freuen
sich im Innern aber königlich. Da sage noch einer,
die heutige Jugend sei nicht romantisch!
Das
Fest beginnt montags um Glockenschlag Mitternacht,
wenn die 30.000 elektrischen Birnen der weißen und
orangenfarbenen Lampions des Festgeländes alle
gleichzeitig aufleuchten, einschließlich der Lampen
der portada, des hohen, alljährlich
wechselnden Eingangsgebäudes. Es wird oft als
Treffpunkt vereinbart. Allerdings wird man sich dort
kaum treffen, da es so gewaltig ist.
Dienstag,
Mittwoch, Donnerstag sind die Tage der Reichen und
Schönen,
besonders chic und elegant. Zum Wochenende marschiert
halb Andalusien an - etwa eine Million Besucher
am Samstag. Dann ziehen sich viele Sevillaner
schon ermattet ins traute Heim oder an den Strand
zurück.
Jeden Tag ab Mittag beginnt der Betrieb mit der
Pferdeparade (deren Höhepunkt gegen 17-18 und Schluß
um 20 Uhr ist), den Empfängen in den casetas,
ersten Tänzen. Er flaut um 18 Uhr etwas ab, wenn
viele aficionados zu den Stierkämpfen in der Maestranza
pilgern, der zweitältesten Arena des Landes nach der
in Ronda. Um 21 Uhr gehen die Lichter an und
die wildesten Stunden beginnen. Der "Sherry"
(von den Engländern verballhorntes "Jerez"
nach der alten maurischen Grenzstandt Jerez de la
Frontera) fließt in Strömen. Wer den Kampf gegen
ihn zu verlieren droht, wird in den casetas
immer wieder mit tapas zum Leben erweckt. Tapas
sind im Spanischen ursprünglich "Deckel",
die früher zum Abhalten der Fliegen auf das gefüllte
Weinglas gelegt wurden, etwa eine Scheibe Brot, Käse,
Schinken. In der Feria sind es erlesenere
Delikatessen wie "pescaíto frito", also
Fisch, luftgetrockneter Serrano-Schinken, Mini-Steaks,
Käsehäppchen und ähnliche Köstlichkeiten. Komatösen
Fällen wird gegen Mitternacht heiße Brühe mit
Minzekraut, "caldito de la Feria con
yerbabuena", morgens auch Erbsensuppe zur
Wiederbelebung gereicht. Zudem trinken habitués
zwischendurch eine Mischung von Wein und Sinalco oder
7up mit viel Eis. Honni soit qui mal y pense!
Wegen all dem sieht man kaum einen Betrunkenen.
Morgens,
so um 8 - 9 Uhr, weigern sich noch viele Tänzer zu
glauben, daß die Nacht vorbei ist, obwohl es längst
hell ist. Erst der Einzug der Reinigungsbrigaden gegen
zehn überzeugt sie von der traurigen Wahrheit. Dann
trösten sie sich zum Frühstück mit chocolate con
churros (Kakao mit einzustippenden, leicht
salzigen Teichstangen - oh Wonne!) oder buñuelos
bei den "buñoleras", Zigeunerinnen,
die in Feria-Laune zur Aufmunterung ihrer Gäste
auch schon mal einen feurigen Flamenco mit viel
Händeklatschen zelebrieren. Später gibt’s dann
"moros y cristianos", also Mauren und
Christen, schwarze Bohnen mit weißem Reis. Singen und
Tanzen in den casetas währen bis zur letzten,
wirklich der allerletzten Minute vor Mitternacht am
Sonntag, wenn das eindrucksvolle Feuerwerk über dem
großen Fluß entzündet wird. "Aaah!"
"Oooh!" "Qué liiindo!"
Noch
ist die Feria eine fast rein spanische Angelegenheit. Die Seltenheit ausländischer Besucher
und die herzliche Gastfreundschaft der Andalusier
bringen es mit sich, daß Sie - wenn Sie nicht gerade
ein gar zu abweisendes Gesicht machen - oft zu einem
Glas Manzanilla vor der caseta, manchmal
zu einem Plausch mit tapas ins Zelt,
gelegentlich zu einem Tanz eingeladen werden. Dabei
tut man sich als Mann leichter, da man nur die Füße
ein wenig im Rythmus bewegen mag. Die Damen mit ihren
komplexen Schritten und Armbewegungen sind so
tanzfreudig, daß vielfach zwei Frauen zusammen tanzen.
Das ist besonders bezaubernd, wenn Muttis ihre sechsjährigen
zukünftigen Herzensbrecherinnen unterweisen, die
schon - naja, fast - so gut tanzen wie die Mama,
jedenfalls ebenso begeistert und unersättlich. Natürlich
würde kein vernünftiger Mensch versuchen, an einem
Abend Sevillana zu lernen. Aber wer ist in der Feria
schon vernünftig?
Und
wenn Sie nicht ständig in privaten casetas
eingeladen sind? Dann können Sie immer noch ohne
Einladung Ihre Heimat in über einem Dutzend öffentlichen
Zelten finden, z. B. denen der Stadtteile. Dort gibt
es auch Wein und Speisen zu zivilen Preisen. Besonders
feurige Musik finden Sie beim "Distrito Triana",
"Dto. Casco Antiguo" und "Dto.
Macarena", allerdings vom Tonband. Für
Kapellen gäbe es hier auch gar keinen Platz - bis zu
10.000 Besucher tanzen hier an einem Tag. Nichts für
Klaustrophobe!
Wenn
Sie sich vom Tanzen oder dabei Zuschauen erholen
wollen, können Sie die angrenzende "Inferno-Straße",
den Jahrmarkt mit zwei Riesenrädern, "Höllenzügen",
coches locos, gigantischer "Wikinger-Schiffschaukel",
einem Zirkus und einem Zoo abgrasen, ganz zu schweigen von
den Sehenswürdigkeiten in der leergefegten Stadt.
Dazu gehört eine der größten und prächtigsten
Kathedralen der Christenheit mit der "Giralda",
dem maurischen Minarett, heute Glockenturm mit
Blick über ganz Sevilla. Das charmante
Altstadtviertel Santa Cruz bietet einen Meter enge Gäßchen
und viele malerische Innenhöfe im Duft der
Orangenblüten.
Der Alcazar ist ein weitläufiges Schloß im Mudéjar-Stil,
also dem Mischstil der spanischen Bauherren und ihrer
nach der Reconquista im Land gebliebenen maurischen
Arbeiter, gelegentlich verziert mit einem dezent im Arabeskenmuster
versteckten Davidstern, da Juden die
Finanziers waren. Die Plaza de España, ein
Pavillion der Ibero-Amerikanischen Ausstellung
von 1929, zeigt besonders schöne Kacheln - ein Erbe
der Mauren, das von römischen Mosaiken
inspiriert war. Lediglich das Gelände der Expo 92 ist
leider zu einem wenig interessanten, überteuerten
Vergnügungspark degeneriert, der sogenannten "Isla
Mágica". Die Schiffsrundfahrt mit halbstündlicher
Abfahrt vom maurischen "Goldenen Turm",
zeigt die Schönheit der Stadt vom Fluß aus.
In
40 Minuten bringt Sie der Hochgeschwindigkeitszug AVE
auf eigener schmalgleisiger Trasse oder der Aluminium-Talgo
nach Cordoba zur "Mesquita",
der Moschee mit später eingebauter Kathedrale, und
dem verwinkelten alten Judenviertel Judaría.
Eine Flußfahrt führt zur Mündung des Guadalquivir
bei Sanlúcar. Statt der Bergfahrt zurück können
Sie dann besser und schneller den Bus nehmen. Bei mehr
Zeit lockt Sie vielleicht auch Granada mit
seiner stilrein maurischen Alhambra, als UNESCO-Weltkulturerbe
geadelt, den Wasserspielen der Generalife-Gärten und den Zigeunerhöhlen auf dem
Sacro
Monte. Auch hier Flamenco à gogo.
Wenn
Sie dann zu Ihren neuen Freunden in eine caseta
zurückkehren wollen, denken Sie daran, daß - wie im
wahren Leben - die Hausnummern in jeder der nach berühmten
Stierkämpfern benannten Straßen neu beginnen. Und
vergessen Sie nicht, daß casetas keine öffentlichen
Bars oder Pubs, sondern Privatgemächer sind, in denen
man nicht automatisch zur stets erneuten Einkehr und
ewigem Verzehr eingeladen ist. Auch hier hat Ortega
recht: "Man muß aufhören, sich essen zu lassen,
solange man am besten schmeckt. Das ist das Geheimnis
derer, die lange geliebt worden sind."
Tips für
Trips:
Wir
arrangieren Ihnen die Fluganreise,
Hotelübernachtungen,
Mietwagen und etwaige Verlängerungsaufenthalte (Strandhotels
an der Costa de la Luz oder Besuche der Städte, wie
Cordoba, Granada, Malaga, usw.)
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